Von der Dorfschule zum Ferienhaus

Fotos: Thomas Geyer (2017)

Kurz nach Weihnachten im Jahr 2000 erreichte uns ein Brief mit einem sensationellen Angebot: wir wurden gefragt, ob wir einen Anteil an einer ehemaligen Dorfschule in Småland als Ferienhaus kaufen wollten. Nachdem wir schon längere Zeit mit dem Gedanken gespielt hatten, ein Ferienhaus zu kaufen, war dieses Angebot ein Geschenk des Himmels!

In den Pfingstferien fuhren wir ohnehin nach Schweden, die Dorfschule lag fast auf unserem Weg, deshalb besichtigten wir sie kurz und waren hellauf begeistert: am Dorfrand, mitten im Wald, mit Nähe zu Fluss und See, mit kompletter Einrichtung, Rädern, Booten und Sauna. Wir haben im September dann bei einem Treffen mit den anderen Besitzern ohne zu zögern zugesagt. Seitdem sind wir mit drei anderen Familien gemeinsam Anteilseigner an der „Bro-Skola“ in der Gemeinde Linneryd in der Nähe von Tingsryd im südlichen Småland.

Bei „Abenteueraktionen“ im 250 qm großen Haus fanden wir allerlei Überreste aus der früheren Schulzeit: alte Bücherkisten, den ehemaligen Wasserspender, Schulbänke, Schautafeln, Zeitungen aus den 40er Jahren u.v.m. So nach und nach begannen wir uns für die Geschichte dieser Dorfschule zu interessieren. Informationen dazu fanden wir in den Jahrbüchern der Heimatvereine und in einem Buch über „Linneryds kommun 1863-1951“ von Martin Sjöstrand.

In Schweden wurde vor 175 Jahren die Volksschule und damit die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Vorbereitet wurde das Gesetz von Christopher Isac Heurlin, einem Priester aus Småland, der nach seiner Kindheit in Åseda, seiner Schulzeit in Växjö, dem Studium in Lund, der Tätigkeit als Priester in verschiedenen småländischen Orten als „ecklesiastikminister“ dem königlichen Rat angehörte und in dieser Eigenschaft 1842 den Gesetzesentwurf für das neue Volksschulgesetz entwarf. Heurlin hatte das Vertrauen von König Karl XIV. erlangt, weil er ein småländisches Französisch mit dem König sprach, der niemals gelernt hatte Schwedisch zu sprechen.

In Stockholm wurde im Frühjahr in Waldemarsudde eine Ausstellung über das schwedische Schulwesen eröffnet, die einen Überblick über 175 Schulgeschichte zeigt. Die Ausstellung wird als Wanderausstellung in weiteren sieben Museen in Schweden zu sehen sein, als nächstes in Kalmar.

Die Bro-Skola in Bro gehört nicht zu den Schulgebäuden der Anfangszeit, aber sie wird heuer immerhin 100 Jahre alt. Allerdings war Linneryd ein Schulort der ersten Stunde, denn dort gab es schon 1823 einen Lehrer, Per Petersson Holm. Als er 1866 seine Lehrtätigkeit aufgab, war er der erste Volksschullehrer Schwedens, der eine Pension erhielt.

1835 gab es in Kronobergslän nur fünf Schulen, eine davon in Linneryd. Zunächst arbeiteten die Lehrer als Wanderlehrer. Neben dem Volksschullehrer gab es noch zwei „Unterschullehrer“, die ebenfalls zum Unterrichten von Ort zu Ort zogen.

1863 war der Schulbezirk Linneryd in zwei Gebiete eingeteilt, jedes mit vier Klassen, die jeweils drei Monate lang Unterricht hatten. Im Bezirk gab es acht Schulhäuser. Sie hatten ein Klassenzimmer, eine Schulkammer und einen Flur. Jedes Klassenzimmer hatte sechs Fenster, zwei davon an der Giebelseite, zwischen denen das Pult stand. Neben den Schulhäusern gab es Platz für Beete, so dass auch eine Unterweisung in Gartenbau stattfand.

Im Jahr 1900 wurde beschlossen, dass jedes Kind sowohl in der Grundschule als auch in der Volksschule mindestens vier Monate Unterricht pro Jahr erhalten sollte. Ein eigens eingerichteter Fonds sollte sicher stellen, dass auch arme Kinder die Schule besuchen konnten.

Die große Zahl an Kindern, die überall in Dörfern, Weilern oder auf einsamen Gehöften und in Hütten mitten im Wald wohnten, machte den Bau von mehr Schulhäusern nötig. Im Zuge dieser Maßnahme wurde 1916/17 unsere Schule in Bro gebaut: mit zwei Klassenzimmern, einem Werkraum im Dachboden, einem Flur mit Kletterbalken und einem angebauten Lehrerhaus mit zwei Wohnungen. Dieser Schultyp findet sich in Småland ganz häufig – sie wurden etwa im Abstand von 10 Kilometern erbaut, so dass die Kinder aus der Umgebung einen Schulweg von maximal etwa einer Stunde hatten. Ähnliches wird auch von Astrid Lindgren bei den „Kindern von Bullerbü“ berichtet. 

Das Schulwesen änderte sich ständig. 1937 wurde teilweise die 7-jährige Schule eingeführt, in anderen Gegenden die Unterrichtszeit im Herbst und im Frühjahr auf 18 Wochen verlängert. Im Bezirk Linneryd wurde 1944 beschlossen, dass die Kinder kostenloses Schulmaterial bekommen sollten. Außerdem wurden Nähmaschinen und Orgeln für die Schulen angeschafft. Mit der Einführung eines Fortsetzungsjahres nach der Volksschule, das der Berufsbildung dienen sollte, kam es zu weiteren Veränderungen. Schulen wurden geschlossen oder zusammengelegt. In Bro wurden nur noch die Klassen 5 bis 7 unterrichtet.

1950 kam dann die grundlegende Änderung. Für den gesamten Bezirk wurde eine Zentralschule im Kirchdorf Linneryd eingerichtet, für die Kinder ein Schulbusdienst organisiert. Nur wenige Jahre später, als die Schule in Linneryd fertiggestellt war, wurde die Schule in Bro geschlossen, mit ihr viele andere Dorfschulen in der Umgebung. Die Häuser wurden danach als Wohnhäuser genutzt und später als Ferienhäuser verkauft. Unsere Bro-Skola ist seit den 80er Jahren im Besitz von Deutschen, seit 1993 wird sie von einer Eigentümergemeinschaft verwaltet und gepflegt.

Im Haus sind viele Dinge noch orginalgetreu erhalten, und es war interessant nachzulesen, wann was renoviert wurde. 1942 wurden Wasserleitung und Abwassergrube installiert – die Trockenklos im Nebengebäude gibt es aber immer noch! 1945 wurden die Küchen in den Lehrerwohnungen modernisiert – die Hängeschränke funktionieren noch einwandfrei! 1948 wurden die Fußböden in allen Klassenzimmern mit Linoleum ausgelegt – denen merkt man allmählich das hohe Alter an.

Gleich nach dem Beginn des schwedischen Schuljahres, am ersten Septemberwochenende 2017 werden wir mit dem ganzen Dorf Bro das hundertjährige Jubiläum der Dorfschule mit einem Tag der offenen Tür feiern. Die Dorfbewohner freuen sich schon sehr darauf, denn es wird für viele das erste Mal sein, dass sie die Schule betreten können, die ja seit den 50er Jahren privat genutzt wurde. Ausnahme ist allerdings Lars Carlsson, der Seniorchef des örtlichen Sägewerks: Er ging vor vielen, vielen Jahren in Bro zur Schule.

 

Text: Gertraud Geyer (2017)